Weihnachtsgeld wird in vielen Arbeitsverhältnissen so regelmäßig und selbstverständlich ausgezahlt, dass man meinen könnte, es gehöre zur „normalen“ Vergütung. Tatsächlich handelt es sich beim Weihnachtsgeld jedoch um eine Jahressonderzahlung. Ob und wann ein Betrieb eine solche Sonderzahlung gewährt, bestimmt sich entweder durch (tarif-) vertragliche Regelungen oder durch betriebliche Übung. Die Auszahlung des Weihnachtsgeldes erfolgt üblicherweise mit der Novemberabrechnung.
Diese Praxis wirft regelmäßig die arbeitsrechtlich relevante Frage auf, ob eine solche Regelung lediglich den Fälligkeitszeitpunkt beschreibt oder ob sie als Stichtagsklausel zu werten ist – mit der Folge, dass ein Anspruch auf die Sonderzahlung nur bei einem im November ungekündigten Arbeitsverhältnis besteht. Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Mecklenburg-Vorpommern vom 28.01.2025 (Az. 5 SLa 115/24) schafft hierzu nun mehr Klarheit.
Fälligkeits- oder Stichtagsregelung?
Im entschiedenen Fall sah der maßgebliche Tarifvertrag vor, dass Mitarbeitende mit dem Novemberentgelt eine Jahressonderzahlung in Höhe eines Bruttomonatsgehalts erhalten. Für das Eintrittsjahr war ausdrücklich eine zeitanteilige Zahlung vorgesehen – nicht jedoch für das Austrittsjahr. Der Kläger war zum 31. August aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden und verlangte dennoch – hilfsweise anteilig – die Sonderzahlung.
Das LAG setzte sich mit der entscheidungserheblichen Frage auseinander, ob eine Auszahlung des Weihnachtsgeldes mit dem Novemberentgelt lediglich eine Fälligkeitsregelung darstellt oder ob darin eine Stichtagsregelung zu sehen ist. Die Unterscheidung hängt maßgeblich davon ab, welchem Zweck die Sonderzahlung im konkreten Arbeitsverhältnis dient. Typischerweise möchte der Arbeitgeber mit einer Sonderzuwendung entweder bereits erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergüten oder die Betriebstreue der Beschäftigten honorieren. Entscheidend ist stets die konkrete Regelung im Arbeits- oder Tarifvertrag.
Im vorliegenden Fall prüfte das Gericht deshalb zunächst den genauen Wortlaut der Regelung und kam zu dem Ergebnis, dass die Formulierung „… erhalten mit dem Novemberentgelt …“ die Zahlung des Novembergehalts im betreffenden Jahr voraussetzt. Bedingung für die Auszahlung ist damit ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis im November. Wäre die Jahressonderzahlung unter der bloßen Angabe eines Datums oder eines Zahlungszeitraums gewährt worden, hätte dies für eine Fälligkeitsregelung gesprochen. In dem vom Kläger vorgelegten Fall konnte man somit bereits anhand des Wortlauts die Zielrichtung der Regelung erkennen. Dem Klägerbegehren wurde folglich nicht stattgegeben.
Methodik der Auslegung: Wie bestimmt sich der Zweck einer Sonderzahlung?
In vielen anderen Fällen lässt sich der Zweck einer Sonderzuwendung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Regelung ablesen. Das Gericht nahm den vorliegenden Fall deshalb zum Anlass, grundsätzliche Maßstäbe zur Auslegung vertraglicher Regelungen über Jahressonderzahlungen zu formulieren. Ausgangspunkt bleibt stets der Wortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, sind weitere Auslegungskriterien heranzuziehen: Der erkennbare Wille der Vertragsparteien, der vertragliche und gegebenenfalls tarifliche Gesamtzusammenhang, die Entstehungsgeschichte der Regelung sowie ihre praktische Anwendung. Darüber hinaus dürfen auch Aspekte der Praktikabilität berücksichtigt werden. Im Zweifel ist diejenige Auslegung vorzugswürdig, die zu einer sachgerechten und praktikablen Handhabung führt.
Wann ist eine anteilige Auszahlung der Jahressonderzahlung möglich?
Wenn dem Kläger bereits nicht die volle Jahressonderzahlung zustehen sollte, so stellte sich aus seiner Sicht zumindest die Frage nach einer anteiligen Auszahlung für das Austrittsjahr. Im Gegensatz zum Eintrittsjahr sah der maßgebliche Tarifvertrag hierfür jedoch keine explizite Regelung vor. Ist dies auch in den individuellen Arbeitsverträgen nicht vorgesehen, kann ein solcher Anspruch nur noch auf eine betriebliche Übung gestützt werden.
Auch hier ist entscheidend, welchem Zweck die Sonderzahlung dient: Dient sie der laufzeitabhängigen Vergütung von Arbeitsleistung, spricht dies eher für eine anteilige Auszahlung. Ist sie hingegen Ausdruck betrieblicher Verbundenheit oder ein Anreiz zur Bindung an den Betrieb, kann ein vollständiger Ausschluss der Zahlung bei vorzeitigem Ausscheiden zulässig sein.
Fazit
Zwar hatte der Kläger im vorliegenden Fall keinen Anspruch mehr auf die Jahressonderzahlung, doch in vielen anderen Konstellationen kann die Sachlage anders zu bewerten sein. Entscheidend ist der Zweck der Sonderzahlung und die konkrete vertragliche oder tarifvertragliche Ausgestaltung. Für einige Arbeitnehmer bestehen daher durchaus Möglichkeiten, das Weihnachtsgeld auch bei vorzeitigem Ausscheiden zu erhalten – vorausgesetzt, sie wissen, auf welche Formulierungen und Regelungszusammenhänge im Vertrag zu achten ist.
Sollten Sie zur Bewertung Ihrer vertraglichen Klausel noch Unterstützung benötigen, stehen wir, die Rechtsanwälte Wagner + Gräf, Ihnen gerne beratend zur Seite.
Ein Beitrag von Antonia Obert, juristische Mitarbeiterin unserer Kanzlei, und Moritz Schulte, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht