Jetzt anrufen unter

0931 32 10 10

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung AU Entgeltfortzahlung

Grenzen des Beweiswerts: Das BAG zur Erschütterung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Im arbeitsrechtlichen Kontext spielt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) eine zentrale Rolle. Sie dient als Schlüsseldokument, das die Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters belegt und somit dessen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall untermauert. Mehr zur elektronischen AU finden Sie in unserem Blogartikel dazu. In der Regel messen deutsche Gerichte der AU einen hohen Beweiswert bei.

In seiner Entscheidung vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23 hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) erneut mit der bedeutsamen Frage befasst, unter welchen Umständen der Beweiswert einer AU erschüttert werden kann.

Der Sachverhalt im Detail

Im Mittelpunkt des Falles stand ein Arbeitnehmer, der nach Erhalt einer Kündigung mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorlegte. Diese deckten exakt den Zeitraum bis zum letzten Tag der Kündigungsfrist, den 31. Mai, ab. Konkret reichte er drei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein: die erste am 02. Mai und zwei weitere am 06. und 20. Mai, die eine Arbeitsunfähigkeit für den gesamten Mai attestierten. Unmittelbar nach Ablauf der letzten Bescheinigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses trat der Arbeitnehmer am 01.06. eine neue Stelle an. Die Kündigung wurde dem Arbeitnehmer am 03. Mai zugestellt. Aufgrund der präzisen zeitlichen Übereinstimmung der AU-Bescheinigungen mit der Kündigungsfrist und dem sofortigen Antritt einer neuen Beschäftigung zweifelte der Arbeitgeber den Beweiswert der AU-Bescheinigungen an und verweigerte die Entgeltfortzahlung.

Rechtliche Bewertung des Falles

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht (LAG) hatten dem Kläger ursprünglich zugestimmt und ihm die Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 01. bis 31. Mai zugesprochen. 

Das BAG nahm jedoch eine teilweise Korrektur des Urteils des LAG Niedersachsen vor. In Übereinstimmung mit dem Urteil der Vorinstanz, sprach das Gericht dem Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 01. bis 06. Mai  zu. Das LAG hatte hierzu bereits zutreffend festgestellt, dass die Frage der Erschütterung des Beweiswerts der AU unabhängig davon ist, ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigen. Darüber hinaus sahen weder das BAG noch das LAG Anzeichen, die den Beweiswert der ersten AU des Arbeitnehmers erschütterten. Dies begründeten sie damit, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Vorlage der ersten AU noch keine Kenntnis von der Kündigung haben konnte, da ihm diese erst am 03. Mai zugegangen war. Ihm steht daher die Entgeltfortzahlung für den Zeitraum vom 01. bis zum 06. Mai zu.

Im Gegensatz dazu sah das BAG den Beweiswert der Folgebescheinigungen vom 06. und 20. Mai als erschüttert an. Das Gericht merkte an, dass die AU-Bescheinigungen vom 02. und 06. Mai jeweils bis zu einem Freitag reichten, während die letzte AU bis Dienstag, den 31. Mai, datiert war und damit genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses reichte. Zudem wurde berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer ab dem 1. Juni wieder arbeitsfähig war und eine neue Stelle antrat. Da der Arbeitnehmer am Ausstellungsdatum der Folgebescheinigungen, dem 06. und 20. Mai, bereits von der Kündigung wusste, die ihm am 03. Mai zugegangen war, bewertete das BAG diese Umstände insgesamt und kam zu dem Schluss, dass ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Folgebescheinigungen bestünden.

Praxistipp

Die Entscheidung des BAG bietet Orientierungspunkte zur Erschütterung des Beweiswerts von AU-Bescheinigungen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten jedoch in ähnlichen Streitfällen weiterhin vorsichtig agieren, denn die Entscheidung des BAG bezieht sich ausdrücklich nur auf den spezifischen Sachverhalt.

Dennoch kann die Entscheidung aus Sicht der Arbeitgeber positiv gesehen werden. Das BAG bekräftigt die bisherige Rechtsprechung, wonach durch den Vortrag entsprechender Tatsachen substantielle Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters entstehen können und der Beweiswert einer AU erschüttert werden kann. Zu hohe Anforderungen an die Erschütterung sind nicht zu stellen. Die aktuelle Entscheidung des BAG enthält die Neuigkeiten, dass die zeitliche Abstimmung der AU bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nach einer Kündigung mit unmittelbarem Antritt einer neuen Stelle, ausreicht, den Beweiswert zu erschüttern.  

Sollte es dem Arbeitgeber tatsächlich gelingen, die Beweiskraft einer AU zu erschüttern, entfällt die Entgeltfortzahlung nicht automatisch. Vielmehr liegt die Darlegungs- und Beweislast wieder beim Arbeitnehmer. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und zu beweisen, dass er krank war. In Betracht kommt ein Vortrag zur Art der Erkrankung und deren Verlauf. So kann möglicherweise doch noch ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung begründet werden.

Ein Beitrag von Antonia Obert, juristische Mitarbeiterin unserer Kanzlei, und Moritz Schulte, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht.

Autorin
Antonia Obert

Juristische Mitarbeiterin

Antonia Obert

Juristische Mitarbeiterin

Ansprechpartner
Moritz Schulte - Fachanwalt für Arbeitsrecht

Fachanwalt für
Arbeitsrecht

Moritz Schulte - Fachanwalt für Arbeitsrecht

Fachanwalt für
Arbeitsrecht

Kontakt

0931 321010
Theaterstraße 1
97070 Würzburg